Menschen reden, Greifvögel greifen
Bei einem anderen Abendessen mit Fischspezialitäten in einem mediterannen Restaurant und einem Glas Pinot Blanc in den Händen, sagt einer der 4 Freunde nachdenklich…
Atheist: Wir haben so viele Sprachen auf dieser Welt.
Forscher: Jemand hat mal eine Einschätzung abgegeben, dass es ca. 5000 natürliche Sprachen auf unserem Planeten gibt.
Theist: In jeder Sprache geht es immer um dasselbe, um ein Verstehen der Welt, des Selbst und die Kommunikation miteinander. Am Anfang der menschlichen Entwicklung war sicherlich die Kommunikation wichtiger, da es größtenteils um das nackte Überleben ging und man durch gegenseitige Verständigung mehr Chancen hatte zu überleben, aber mit der Zeit wird es dann mehr um das Verständnis des Selbst und der Welt gegangen sein und natürlich Gott.
Atheist: Man kann auch sagen, dass es um alles denkbare und undenkbare in unseren Sprachen geht, Fakt ist aber und ich mag es bei Fakten zu bleiben, dass jede noch gesprochene und auch jede schon ausgestorbene Sprache im Endeffekt eine Sammlung von Wörtern ist. Es geht um Worte.
Forscher: Nun, die Philologen (Sprachwissenschaftler) haben es sich zur Arbeit gemacht, die Worte genauer zu betrachten. Sie fragen sich, wie sind diese entstanden, warum, was wollte jemand mit ihnen ausdrücken und wie haben sie sich durch die Geschichte entwickelt? Was sagen sie uns über uns selbst, unsere Welt, unsere Mitmenschen? Und mit welchen anderen Worten stehen sie gut in Verbindung? Jedes einzelne Wort ist schließlich erfunden worden, von irgendeinem Menschen.
Theist: Wir alle wissen, dass auch Wörterbücher und Lexika uns helfen, die Bedeutung von Worten zu verstehen, und es hat sich eine Myriade derselben entwickelt in den meisten gesprochenen Sprachen auf unserem Planeten. Es gibt sie auch natürlich im Internet bzw. durch das Internet entstand eines der größten solchen Wörterbücher, welches gemeinschaftlich aufgebaut wird durch inspirierte Menschen weltweit. Sie alle glauben an ihre Arbeit und wir alle ziehen einen Nutzen aus ihr.
Atheist: Ich finde die Etymologie, als Instrument der Sprachwissenschaft, besonders interessant, sie beschäftigt sich, wie ihr Name sagt, mit der Herkunft von Worten.
Theist: Es ist gut, wenn man sich mit der Bedeutung und Herkunft von Worten beschäftigt, aber man muss auch vorsichtig sein, denn so manche Beschäftigung kann zu Rückschlüssen führen, die nicht stimmen. Deshalb gebe ich hiermit, wenn es darum geht, Worte zu verstehen, als wichtigsten Ansatz, dies in Gemeinschaft zu tun. Entdeckungen mit Mitmenschen teilen und Kritik zulassen, ist nicht nur für den eigenen Denkprozess bereichernd, sondern stärkt auch unsere Beziehungen mit unseren Mitmenschen und damit auch unsere und ihre Identität und das Zugehörigkeitsgefühl.
Atheist: Ich will nicht immer alles mit anderen teilen, ich mag es auch, Dinge für mich selbst zu erforschen und zu entdecken und dann auch zu haben. Das bedeutet nicht, dass mir andere Menschen egal sind, aber ich mag meine Privatsphäre, es muss ja nicht jemand ständig über alles erfahren, was ich denke und tue.
Theist: Das ist natürlich erlaubt, man braucht nicht alles zu teilen, aber vieles fühlt sich erst so richtig gut an, nachdem wir es geteilt haben. Aber wirklich geteilt haben, dass es bei den anderen auch richtig ankommt, dass sie etwas von uns erhalten, ein Geschenk und unser Vertrauen. Das sie nicht denken, sie hätten uns manipuliert.
Forscher: So eine Gemeinschaft wäre schön in der Forschung, leider haben wir nur lose Allianzen sich stets gegenseitig bekämpfender Stämme. Und oft bekämpfen wir uns auch innerhalb unserer eigenen Stämme. Ab und zu gibt es auch Liebesbeziehungen zwischen Forschern, aber diese können ins Auge gehen, privat und professionell.
Philosoph: Ihr drei sorgt immer für eine gute Unterhaltung, die Welt wäre ja fast langweilig ohne gute Gespräche.
Atheist: Hast Du sonst nichts zu Sprachen und Worten beizutragen?
Philosoph: Nun, als Philosoph halte ich es für besonders wichtig, die Worte, welche ich benutze, so gut in ihrer Bedeutung und so tiefgründig wie möglich in ihrer Entwicklung zu verstehen. Kann ich etwas nicht verstehen, kann ich schließlich auch kein Verständnis dafür entwickeln und ich kann es dann auch nicht in mein Denken integrieren. Meine Philosophie hat viel mit meiner eigenen Erforschung der verschiedenen Sprachen zu tun, die ich spreche, und auch der Kulturen, welche diese Sprachen hervorgebracht haben oder nutzen. Die Ära der Nationalisierung und der Industrialisierung berücksichtige ich in besonderem Maße, denn diese brachte moderne Nationalsprachen und Schulen hervor, also auch solche in bestimmten Territorien allgemeingültigen Grammatiken und Rechtschreibungen, Wörterbücher etc. Diese Zeit war ein großer Fortschritt in der Kommunikation zwischen den Menschen, leider aber nicht in der Verständigung, weshalb auch nicht allzu lange später große Kriege entfacht wurden. Die Sprachen sind eben nicht nur ein Code, sondern mit den Kulturen, der Geschichte, vielen Gefühlen und besonderen Perspektiven auf sich selbst und die Welt verbunden. Es gibt so manche Kulturen auf unserem Planeten, die ganz und gar nicht kompatibel miteinander sind und wie inkompatibel sie sind merkt man auch, wenn man ihre Sprachen, ihre Redewendungen und Perspektiven erforscht.
Theist: Vielleicht ist die mangelnde Verständigung zwischen uns Menschen auch der Grund dafür, dass wir uns so schwer tun, Gemeinschaften zu bilden?
Forscher: Wir leben heute sicherlich in einer Zeit, in der immer mehr Menschen mehrsprachig sind, aber die Verständigung bleibt weiterhin ein großes Problem, wir sehen das auch an den Kriegen und den zunehmenden Konflikten. Es gibt den Spruch, dass man in den Schuhen anderer laufen soll um jemand wirklich zu verstehen.
Philosophen: Was die Gemeinschaften betrifft, so schätze ich mich glücklich, mehreren guten Gemeinschaft beiwohnen zu können, realen und ideellen. Zum Beispiel, von uns Philosophen gab es noch nie sehr viele in der Geschichte, aber ich bemühe mich, alle Philosophen und Philosophinnen als Kollegen und Kolleginnen zu sehen, also sowohl diejenigen, die heute leben, als auch solche, die verstorben sind - ich sehe uns alle als an einer ideellen Gemeinschaft beteiligt. Mein Kollege Wittgenstein ist bekannt geworden mit seinen Reflektionen über die Sprache und eine seiner Ideen habe ich aufgegriffen und etwas entwickelt für mich selbst. Wollt ihr mehr dazu hören?
Atheist: Von Wittgenstein habe ich gehört.
Theist: Nur zu.
Forscher: Ich bin gespannt.
Philosoph: Stellt Euch für mein Gedankenexperiment eine kleine Box vor, mit einem Deckel und innen drin habt ihr einen Inhalt. So eine kleine Box ist im Endeffekt ein Wort und der Inhalt dieser Box ist die Bedeutung, die man mit diesem Wort in Verbindung bringt. Nimmt man z. B. das Wort “Käfer”, was auch Wittgenstein tat, und sammelt man 5 Personen und spricht zu ihnen das Wort Käfer, dann werden diese 5 Personen unter Umständen in ihren Gedanken 5 verschiedene Bedeutungen diesem Wort “Käfer” gegeben haben, bzw. es sind einfach verschiedene Inhalte in ihren Boxen, auf dem das Wort Käfer geschrieben steht. Einer denkt vielleicht an einen Maikäfer, ein anderer an einen Marienkäfer, der dritte an eine Kakerlake, der vierte aber vielleicht an das VW Auto “den Käfer” und ein fünfter vielleicht an den Haarschnitt, welchen die Beatles berühmt gemacht haben und der “Käfer” heißt. Holt man noch mehr Menschen, könnten noch mehr Bedeutungen mit dem Wort in Verbindung gebracht werden. Manche könnten auch nichts denken und vorerst einfach nur das Wort Käfer im Kopf haben. Was aber bedeutet das bzw. was will ich damit ausdrücken?
Theist: Vielleicht, dass Menschen ihre eigenen Definitionen für die Begriffe haben, die sie nutzen? Und dass wir deshalb durch Liebe geduldiger sein sollen und auch etwas mehr hinterfragen sollen, was unsere Mitmenschen genau denken, bevor wir etwas, das sie sagen, aufnehmen und anfangen zu glauben, sie zu verstehen?
Atheist: Wahrscheinlich, dass wir uns alle überhaupt nicht begreifen und verstehen, weil wir mit unseren eigenen Worten und Definitionen jeweils in einer ganz anderen gedanklichen Realität leben? Schließlich ist Käfer ja ein fast irrelevanter Begriff, aber wir haben sicher dieselben Probleme in der Verständigung, wenn es um die viel wichtigeren Begriffe wie Freundschaft, Geld, Politik, Macht, ja auch Liebe etc. geht?
Forscher: Das ist sehr gut, ich glaube, ich verstehe jetzt vieles besser, was bei uns im Labor so vor sich geht. Es wird wohl mit schlechter Verständigung zu tun haben in all den Bereichen unserer Kommunikation außerhalb unserer Forschung, also überall dort wo wir nicht unsere selbst erzeugten wissenschaftlichen Begriffe nutzen, für die wir allgemein gültige Definitionen haben und an denen dann gemeinsam herumfeilen.
Philosoph: Langsam, ihr seid viel zu schnell. Erstens habe ich nie das Wort “Begriff” verwendet, habt ihr das gemerkt? Aber ihr alle habt das getan. Ich habe aber das Wort “Begriff” sehr bewusst nicht benutzt, wisst ihr warum?
… Eine kleine Denkpause trat ein …
Theist: Ich glaube, ich habe es, weil Begriff eben mit Greifen, also etwas kontrollieren, in Gewalt bringen zu tun hat und das ist ja genau entgegengesetzt von dem, wie du uns deine Philosophie der Liebe vorstellst.
Philosoph: Sehr gut. Wir sind Menschen, wir sollen reden. Wir sind keine Greifvögel, die greifen sollen. Daran seht ihr aber, wie sehr die Kontrolle ein Teil unserer Kultur ist, unseres Denkens und Handelns. Du sagst es sehr gut, in unsere “Gewalt” zu bringen, sowohl unsere Sprachen als auch unser Seelenleben werden durchdrungen mit Gewalt. Wir sind aus Gewalt entstanden. Wir wollen, ich denke, nicht so sehr begreifen, auch keine Begriffe haben, sondern eher verstehen wollen und uns für Worte interessieren, für ihre Bedeutung in uns und in anderen.
Atheist: Kontrolle ist schon wichtig, wir können nicht ohne Kontrolle, aber auch ich kann eine Unterscheidung zwischen Kontrolle und Gewalt machen, d. h. zwischen Kontrolle im Sinne der Transparenz der Zustände, damit man keine bösen Überraschungen erlebt und zwischen aggressiven und gewalttätigen Wegen zur Herstellung von einer Situation in der man Macht über andere Menschen hat. In anderen Worten, es gibt einen Unterschied zwischen Kontrolle und Macht.
Philosoph: Kontrolle und Macht. Das sind zwei gute Worte, die wir bei einem nächsten Gespräch angehen können.
Atheist: Vielleicht bei unserer geplanten Reise nach Auschwitz?
Theist: Das wird ein Gespräch werden...
Forscher: Dafür werde ich mich etwas vorbereiten wollen, wissenschaftlicher Fortschritt hat in vielem diese Industrialisierung des Tötens ermöglicht. Gewollt haben sie natürlich Menschen.
Die Stimmung kappt etwas, die Freunde bleiben ruhig für mehrere Minuten. Der Theist spricht dann ein kurzes Gebet und die Freunde ändern das Thema und sprechen bis zum Ende des Abends über private Angelegenheiten.