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Der Weg zur Philosophie


Die vier Freunde sitzen auf einer steinernen Mauer am Rande eines alten Klostergartens, das Abendlicht fällt durch die Bäume.

Philosoph: Ich frage mich manchmal, ob Philosophie nicht mit einer einzigen Entscheidung beginnt: der Entscheidung, die Wahrheit zu sagen.
Forscher: Klingt einfach. Aber wie willst du Wahrheit sagen, wenn du nicht weißt, was Wahrheit ist? Das ist doch das erste Dilemma.
Philosoph: Natürlich. Doch Wahrheit zu sagen heißt nicht, die Wahrheit zu kennen. Es heißt, nur das zu sagen, was man selbst für wahr hält. Also das, was man weiß, erfahren hat oder für glaubwürdig genug hält, um es als vorläufige Wahrheit auszusprechen.
Atheist: Also so etwas wie subjektive Wahrhaftigkeit. Kein Anspruch auf objektive Wahrheit, aber eine Verpflichtung zur intellektuellen Redlichkeit.
Theist: Und zur Demut. Die Bereitschaft, sich zu korrigieren, gehört auch dazu. Wenn ich ehrlich spreche, öffne ich mich ja auch für Widerspruch – vielleicht sogar für Erleuchtung.
Forscher: Genau das macht das Gespräch so wertvoll. Wahrheit wird nicht gefunden, indem einer sie ausruft, sondern indem viele sich austauschen. Ein Experiment im Denken.
Philosoph: Und ein Dialog mit offenem Ausgang. Sokrates hat das verstanden. Deshalb schrieb er nie etwas auf – er wusste, dass Worte allein nicht genügen, dass das gelesene und auch das gesprochene Wort jeder auf eine eigene Art und Weise, also anders interpretiert.
Atheist: Wobei ich da widersprechen würde. Schrift ist nicht nur Begrenzung – sie ist auch Einladung. Jeder Leser wird zum Gesprächspartner, auch Jahrhunderte später. Aber ich verstehe den Punkt: Philosophie ist kein Besitz, sondern ein Prozess. Dennoch, hätte Platon nicht die Dialoge aufgeschrieben, würden wir sie heute nicht kennen.
Theist: Sokrates wollte, dass wir gemeinsam deuten, nicht isoliert glauben. Deshalb ist seine berühmte Erkenntnis „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Das ist keine Kapitulation – das ist der Anfang echter Weisheit.
Forscher: Apropos Weisheit – irgendwann merkt man, dass die Wahrheit allein zu abstrakt ist. Wir brauchen etwas Greifbareres. Lebensklugheit. Einsicht. Also: Weisheit.
Philosoph: Und Weisheit entsteht aus der ständigen Suche. Man gibt nicht auf, aber man besteht auch nicht auf seinem Standpunkt. Ein richtiger Philosoph erscheint ein Wanderer zu sein – nie am Ziel, aber immer auf dem Weg.
Atheist: Ich denke, und laufe die Gefahr, kitschig zu klingen, der Weg ist doch das Ziel. Wer meint, er habe die Wahrheit gepachtet, ist gefährlich. Aber wer aufrichtig sucht, kann zu etwas Tieferem finden – nicht zu Gewissheit, aber zu Klarheit.
Theist: Oder sogar zur Wahrheit selbst. Denn es gibt Wahrheit – nicht in uns, aber vielleicht über uns. Für den Glaubenden ist Weisheit ein Wegweiser. Und das Ziel ist Gott.
Philosoph: Ich würde sagen: Der echte Philosoph erkennt die Wahrheit, wenn sie ihm begegnet. Ob als Gedanke, als Erfahrung, als Mensch – oder für manche als Gott. Wichtig ist nur: Er erkennt sie, weil er sie zuvor gesucht hat. Danach erkennt er sie wieder, weil er sie schon mal gefunden hat. Er erkennt deshalb auch schnell den Suchenden in einem Gegenüber und auch dessen gefundene Wahrheiten. Alle Menschen suchen, was die Philosophen unterscheidet sind ihre Methoden sowie die Breite und die Tiefe in der sie suchen.
Forscher: Also beginnt alles mit dem Entschluss, nur noch die eigene Wahrheit zu sagen – ehrlich, demütig, offen. Und daraus entsteht ein Gespräch, das vielleicht nie endet.
Atheist: Dann ist die Wahrheit nicht der Besitz eines Einzelnen, sondern das Kind unserer Begegnungen.
Theist: Das Kind oder vielleicht das Ziel unserer Begegnungen. In jedem Fall braucht man Mut, um nur seine Wahrheit zu sprechen und sich nicht anzupassen oder zu versuchen anderen zu gefallen, sie zu manipulieren usw.
Philosophie: Philosophie beginnt mit dem Mut zum Ausdruck der eigenen Wahrheit. Wunderbar.