Das russische Pearl Harbor
Stellen Sie sich vor, es ist der 7. Dezember 1941. Die Sonne steigt über Pearl Harbor in Hawaii auf, junge Matrosen, oft Nachkommen von Migranten, die das Paradies auf Erden suchten – Freiheit, Wohlstand, ein neues Leben fern von der Alten Welt –, träumen vom amerikanischen Traum. Für diese Einwanderer waren die USA der Inbegriff ihrer Hoffnung: ein Land, das sie aus Armut, Verfolgung oder Krieg aufnahm, um sie in den Glanz des Fortschritts zu hüllen. Plötzlich explodieren die Schiffe, Feuer verschlingt den Hafen, Schreie hallen durch die Luft in Hawaii. Pearl Harbor brennt, 2.403 Tote, acht Schlachtschiffe versenkt, der Stolz Amerikas in Trümmern. Der Affekt überrollt die Nation: Schock, der in puren Zorn umschlägt, erzeugt einen Durst nach Rache, der die Adern der Amerikaner durchflutet. Für diese Migranten und ihre Nachkommen zerstörte Japan in Pearl Harbor nicht nur Schiffe, sondern den Kern des American Dreams – die Illusion einer unantastbaren Sicherheit. Präsident Harry S. Truman erbt diesen Krieg nach dem Tod von Franklin Delano Roosevelt, er fühlt den Schmerz der Verluste tief in sich – die Angst vor weiterem Blut und den Hass auf den Feind, der die Illusion der Sicherheit zerbrach. Es ist 1945, Japan liegt am Boden, doch der Affekt siegt über jede Kalkulation und als Truman, an der Macht angekommen, über die Atombomben erfährt kommt es schnell zu Hiroshima und Nagasaki, 140.000 bis 200.000 Tote in Sekunden. Es war dies ein Racheakt, der die Welt für immer verändert hat. Truman sagte später in seinen Memoiren und Interviews, er hätte noch mehr Atombomben geworfen, wenn er mehr gehabt hätte. Natürlich gab es Gespräche, natürlich pro Forma Auswertungen und verschiedene Vorschläge, aber wer sich mit dieser Geschichte beschäftigt hat, der versteht, es war Rache.
Was wissen Sie über die Russen? Glauben Sie, die Russen seien kalt, berechnend, ohne solche Affekte wie die Amerikaner, ohne eine Seele, die vor Schmerz explodieren kann? Ihre 1000 jährige Geschichte ist ein Ozean aus Leid. Geformt von Invasionen, wegen denen sich die Russen als ewige Verteidiger empfinden, nie als Aggressoren. Kiew ist die Perle der Orthodoxie – haben Sie das gewusst? 988 taufte Fürst Wladimir I. in Kiew das Volk, machte die Stadt zur spirituellen Wiege der Rus, zum Symbol der Einheit zwischen Slawen, Byzanz und Gott, dem Kern des orthodoxen Glaubens, der Russland bis heute prägt und den auch die totalitären russischen Kommunisten dem russischen Volk nicht nehmen konnten. Diese Perle ist nicht nur Stein und Geschichte; sie ist emotional, das Herz des „russischen Mirs“, wo das orthodoxe Kreuz Wurzeln schlug, widerstandsfähig gegen Stürme. Die mongolische Zerstörung 1240 legte Kiew in Asche, ein Schlag, der ein 240-jähriges Joch brachte und die russische Seele mit Zorn und Angst imprägnierte. Heute fühlt sich Kiew wie eine geraubte Perle an – ein Affekt aus Trauer und Wut, der Russen daran erinnert, dass ihr Glaube und ihre Geschichte bedroht sind.
Die Russen haben aber auch noch eine zweite Perle, das Gas in Nordsibirien – haben Sie überlegt, warum es für Russen das wirtschaftliche Herz ist, ein Symbol des Stolzes, der gezähmten Taiga? Die Felder wie Urengoi und Jamalo-Nenets, in der eisigen Wildnis, sind mehr als Rohstoffe; sie verkörpern den russischen Triumph über die Natur, die Eroberung durch unermüdliche Willenskraft. Urengoi, das größte Gasfeld der Welt, fördert 500 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich, 15-20% der globalen Produktion, und stützt Russlands Budget mit 80-100 Milliarden Dollar. Für Russen ist das kein kaltes Kalkül; es wärmt ihre Schulen, Häuser, Krankenhäuser – der Stolz auf die Taiga, die Kosaken im 16. Jahrhundert bezwangen, um das Land vor Eindringlingen zu schützen. Diese Region, wo Temperaturen auf -50 Grad sinken, ist der Geist Russlands: Ausdauer, Isolation, Unabhängigkeit. Arbeiter in Nowy Urengoi verdienen doppelt so viel wie anderswo, schaffen Wohlstand, binden die Nation emotional, machen sie stolz auf ihre Leistung in der Tundra, die sie als Erweiterung ihrer Seele sehen. Ein Angriff darauf, durch Tomahawk Raketen mit 2500 km Reichweite, würde nicht nur Leitungen zerstören; er würde den Stolz brechen, den Affekt der Demütigung wecken, die tiefe Erinnerung an Mongolen, an Napoleon, an Hitler... schon wieder will der Westen sie erobern, noch dazu über eine Instrumentalisierung der Ukrainer, ihres Brudervolks.
Wer sagt es den Russen, dass sie keine Legitimität hätten für nukleare Akte der Vergeltung, falls ihnen auch ihre zweite Perle, ihr zweites Pearl Harbor genommen wird? Natürlich ist heute MAD da (Mutually Assured Destruction) – gegenseitige Zerstörung mit 5.580 russischen und 5.200 westlichen Sprengköpfen (SIPRI Yearbook 2025) –, aber Affekte sind leider oft stärker als Ratio. Die Ukraine-Invasion 2022, von der UN verurteilt (141:5 Stimmen), ist für die Russen „Schutz“, für die Welt Aggression. Es ist dies kein Widerspruch, es sind dies einfach zwei Denkwelten.
Was kann getan werden?
Der Krieg in der Ukraine ist in seinem Kern ein Krieg zwischen Slawen, die seit Jahrhunderten untereinander kämpfen, wie Germanen und viele andere Völker das auch taten zwischen sich – man könnte dies Brüderkriege nennen, die aus Stammesrivalitäten, Imperien und Ideologien geboren wurden. Bei diesem Krieg ist aber etwas anders, die Deutschen spielen in ihm eine zentrale Rolle. Die Deutschen töteten 35 Millionen Slawen im Zweiten Weltkrieg – durch Generalplan Ost, Hunger, Massaker, ein vergessenes Genozid, der tiefe Narben hinterlassen hat. Während bei uns in Deutschland viele Projektionen stattfinden – Putin wird mit Hitler verglichen, sein Regime mit den Nationalsozialisten, dabei ist Putin seit über einem Vierteljahrhundert an der Macht – wird die Ignoranz zur russischen Geschichte und der deutschen Rolle in dieser zum Verhängnis.
Russland ist kein diktatorisches Regime im Vakuum, sondern ein Land mit einem Volk mit Affekten, Geschichte und Stolz. Es geht um das Volk, nicht nur die Elite – Russen fühlen sich in der tiefsten Tiefe als Verteidiger, zunehmend und erneut bedroht vom Westen. Die Deutschen müssen sich einmischen, nicht um eine Seite zu unterstützen, sondern um zu versöhnen. Trump und die Amerikaner können diesen Krieg zwischen den Slawen nicht stoppen, aber die Deutschen, welche vor gerade Mal 80 Jahren 35 Millionen Slawen getötet haben, können es. Friedrich Merz kann mit einer Entschuldigung für den vergessenen Genozid, all dies zu einem Ende bringen und Narben können beginnen zu heilen. Die Ukrainer, als Slawen und historisch Teil der russischen Geschichte, kämpfen mit allem was sie haben gegen die Russen, es ist dies ein Bruderkrieg und Brüder machen selten Halt im Kampf miteinander? Hat nicht Kain schon Abel getötet? Die Ukrainer werden die Gasversorgung in Nordsibirien bombardieren, sobald sie das können, sie werden nicht Halt machen. So wie die Russen nicht Halt machen wollen um Kiew wieder zu haben, wenn nicht in eigenen Grenzen, dann mindestens in Sicherheit vor dem Westen. Der Westen ist schließlich der Feind für die Russen, gegen den es sich zu verteidigen gilt und der Westen ist deshalb der Feind, weil dieser immer wieder in Russland einfiel. Der Westen ist für die Russen der Aggressor. Für die Deutschen wäre deshalb die Unterstützung eines solchen Angriffes der Ukrainer auf das russische Gas fatal. Nach Kiew wäre dies die zweite Perle. Russische Affekte wird nichts mehr aufhalten können, sie würden explodieren.
Aber die Einmischung der Deutschen ist zugleich von größter Bedeutung, es gibt eigentlich nichts anderes, was diesen Krieg zu einem Ende bringen kann, als eine Einmischung Deutschlands im Stile Willy Brandts, der sich bei den Juden für den Holocaust entschuldigte. Eine Entschuldigung durch Friedrich Merz für den vergessenen Genozid und die 35 Millionen Toten Slawen ist der Beginn. Die Deutschen und die Russen haben schließlich eine lange bilaterale Geschichte vor dieser Aggression der Nationalsozialisten, eine Vielzahl von Ehen zwischen den Aristokraten, in Stuttgart steht auf dem Württemberg eine orthodoxe Kirche, das Mausoleum für Königin Katharina und wer erinnert sich nicht an Ostdeutschland, das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zerfall der Sowjetunion ein essenzieller Teil der kommunistischen Welt gewesen ist... Die Geschichten Deutschlands und Russlands sind eng miteinander verwoben. Es existiert eine Chance für den Frieden, wenn die Deutschen den Weg zu diesem eröffnen und es ermöglichen das Traumata heilen - es ist entweder dies oder es kommt zu weiteren deutschen Projektionen, zu noch tieferen Ängsten vor den Russen, zu alten Wünschen nach Dominanz im Osten und wir erleben bald das russische Pearl Harbor. Quellen: 1. Naval History and Heritage Command (2021). Pearl Harbor Attack Report.
2. Atomic Archive (2025). Hiroshima and Nagasaki: The Bombing
3. John Dower (1986). War Without Mercy: Race and Power in the Pacific War, Pantheon Books.
4. J. Samuel Walker (1997). Prompt and Utter Destruction: Truman and the Use of Atomic Bombs against Japan, University of North Carolina Press.
5. Dmitri Obolensky (1971). The Byzantine Commonwealth: Eastern Europe, 500-1453, Weidenfeld & Nicolson.
6. Donald Ostrowski (2018). Portraits of Early Russian Princes: A Study of Dynastic Ideology, Harvard University Press.
7. David Glantz (1995). When Titans Clashed: How the Red Army Stopped Hitler, University Press of Kansas.
8. International Energy Agency (2025). World Energy Outlook 2025.
9. Alexander Etkind (2011). Internal Colonization: Russia's Imperial Experience, Polity Press.
10. Sergei Medvedev (2019). Return of the Russian Leviathan, Polity Press.
11. Serhii Plokhy (2015). The Gates of Europe: A History of Ukraine, Basic Books.
12. Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) (2025). SIPRI Yearbook 2025.
13. UN General Assembly (2022). Resolution on the Aggression against Ukraine.
14. Norman Davies (1996). Europe: A History, Oxford University Press.
15. Mark Mazower (2008). Hitler's Empire: Nazi Rule in Occupied Europe, Penguin Press.
16. Milutin Stanisavljević (2025). Der vergessene Genozid und zwei Vorschläge, milutin.info